Allgemeine Einführung in die Theorien des Such- und Entdeckungsverhaltens

Die Theorien des Such- und Entdeckungsverhaltens[1] beschäftigen sich mit der Aktivierung des Orga­nismus. Sie behaupten, daß jeder Mensch ein optimales Erregungsniveau hat, das er durch SEV zu erreichen versucht. Die dabei betrachtete Erregung setzt sich nach Hansen[2] aus drei Faktoren zusammen: physiologisch bedingte Erregung (z.B. Hunger), situationale Erregung durch neue oder ungewöhnliche Situatio­nen, Veränderungen, Über­ra­schungen, Kom­plexität etc. und kognitive Erregung durch kognitive Konflikte. Der optimale Erregungslevel wurde schon 1955 gleichzeitig von Hebb[3] und Leuba[4] gefordert. Sie argumentierten, daß ein Indi­viduum versuche, eine zu hohe Erregung zu reduzieren und eine zu geringe Erregung zu stei­gern. Um den optimalen Zustand zu erreichen, scheint SEV als eine Möglichkeit kognitiven Vorgehens eine entscheidende Rolle zu spielen. So konnten Bexton, Heron und Scott[5] in einem schon klassischen Experiment zeigen, daß eine Reduktion der Erregung aus der Umge­bung auf Null, dazu führt, daß die Individuen entweder Halluzinationen zeigen oder versuchen, sich auf irgendeine Art selber zu erregen. Da die Ursachen der physiologischen und der situationalen Erregung nur begrenzt beeinflußt werden können, kann der optima­le Er­regungslevel in erster Linie durch die Verände­rung der kognitiven Komponente erreicht wer­den. Eine Möglichkeit um dies zu erreichen, ist das kognitiv gesteuerte SEV. Durch Einsatz des SEV variiert der Konsument das Maß an kognitiven und situationalen Konflikten, denen er ausgesetzt ist. Raju[6] konnte in einer auf den Konsumbe­reich bezogenen Studie feststellen, daß sich SEV sehr oft in Form von Marken­wechsel darstellt. In bezug auf die Häufigkeit liegen davor nur noch „risk ta­king“ und Innovativität. Diese beiden Mittel sind, bei genauer Betrachtung, jedoch Bestandteile des Markenwechsels.

Durch SEV wird entweder ein Stimulus ausgewählt oder näher untersucht. Ein Indivi­duum kann jederzeit entscheiden, ob es sich weiter dem aktuellen Stimulus aussetzt und ihn erforscht oder sich einem anderen Stimulus zuwendet. Das SEV scheint dabei oft Motiven zu folgen, die den allgemeinen Erwartungen zuwiderlaufen. So kann es sein, daß ein bewährtes Produkt, das anscheinend genau die Zielvorstellungen des Konsumenten erfüllt, plötzlich nicht mehr gekauft wird. Die Beschäftigung mit den Hintergründen des SEV kann deshalb einen Beitrag zum besseren Verständnis des Entscheidungs­verhal­tens bei Konsumentscheidungen leisten. Verschiedene Autoren betonen schon seit längerem die Not­wendigkeit, dieses Verhal­ten näher zu untersuchen.[7] Die Verbindung zum Thema dieser Arbeit ergibt sich zunächst daraus, daß Markentreue eine mögliche Form des SEV ist. Im Laufe der Darlegung der ver­schiedenen Konzepte werden noch weitere wichtige Implikationen der aktivations­theoretischen Be­trach­tungsweise deutlich werden.

Im folgenden werden vier Theorien des SEV, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt und in der Literatur allgemein Anerkennung gefunden haben, kurz dargestellt.[8] Der Schwerpunkt wird nicht auf der Beschreibung der Konzepte liegen, sondern vielmehr auf dem Vergleich der Modelle in bezug auf unterschiedliche Ansatzpunkte, die für die Marken­treue wichtig sind. Ausgehend von diesem Vergleich wird dann später ein Konzept erarbeitet, das verschiedene Elemente dieser Theorien mit der im vorigen Kapitel dargestellten Risikotheorie verbindet.

Den im folgenden dargestellten vier aktivationstheoretischen Modellen ist gemeinsam, daß sie ei­nen optimalen Erregungslevel unterstellen, der von Person zu Person unterschiedlich ist. Alle vier Konzepte gehen von einer ∩-Kurve aus, bei der auf der Abszisse die Erregung oder eine Erre­gungsgrundlage und auf der Ordinate der Affekt abgetragen wird. Es gibt in der Literatur andere Konzepte, die einen M-förmigen Zusammenhang vermuten. In einem Punkt sind sich je­doch alle Konzepte einig: Es handelt sich um eine nichtmonotone Kurve, die einen optimalen Punkt irgendwo im mittleren Bereich hat.[9]

Alle Theorien stellen eine Verbindung zwischen dem Grad der Aktivierung und dem damit verbundenen Affekt her. Damit ist der Rückgriff auf attributionstheoretische Ansätze wie dem von Schachter[10] nicht notwendig. Auf der anderen Seite implizieren diese Konzepte, daß es ein primäres Motiv gibt, das auf dieses optimale Niveau ausgerichtet ist und zu einem entsprechen­den Verhalten führt.

Uneinigkeit herrscht zwischen den vier theoretischen Konzepten über die genaue Form des Zusammen­hangs und die Beschriftung der Abszisse. Aus diesen Punkten ergeben sich unter­schiedliche Interpreta­tionen für die Anwendbarkeit der Konzepte.

Der Vergleich der Konzepte geschieht zunächst weitgehend unkommentiert. Eine Bewertung erfolgt im darauf folgenden Kapitel und bei der Übernahme der verschiedenen Ansätze in das Konzept.


[1] (exploratory behavior) Such- und Entdeckungsverhalten soll im weiteren mit SEV

abgekürzt werden.

[2] vgl: Hansen, F., (1972)

[3] vgl.: Hebb, D. O., (1955)

[4] vgl.: Leuba, C., (1955)

[5] vgl.: Bexton, W.; Heron, W.; Scott, T., (1954)

[6] vgl.: Raju, P. S., (1980), S. 279

[7] vgl.: Howard, J. A.; Sheth, J. N., (1969) und Hansen, F., (1972)

[8] ausführlicher vgl.: Raju, P. S.; Venkatesan, M., (1980) oder Streufert, S.; Streufert, S. C., (1978)

[9] vgl.: Rogers, R. D., (1979)

[10] vgl.: Schachter S.; Singer, J. E, (1962)