Vorwort Dissonanztheorie

„Das wahrgenommene Risiko als Unsicherheit bezüglich der Handlungsfolgen ist Ausdruck eines auf kognitiver Einschätzung beruhenden Konfliktes, es kann als eine Form der Vor-Ent­scheidungsdissonanz interpretiert werden. Diese Interpretation legen auch die Ausführungen von Bauer[1] nahe. Er meint, vieles, was er zum wahrgenommenen Risiko sage, sei bereits in der Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger vorweg­genom­men.“[2]

Dieses Zitat rechtfertigt die Behandlung der Dissonanztheorie im Rahmen dieser Arbeit, obwohl es eine kognitive Theorie ist und im Mittelpunkt dieser Arbeit Erregungen und Emotionen stehen. Wie schon im Kapitel über die Lerntheorie deutlich wurde, ist eine Erklärung der Zusammen­hänge ganz ohne kognitive Vorgänge nicht möglich. Durch die Behandlung sowohl der Disso­nanz- als auch der Risikotheorie wird sich hoffentlich ein abge­schlosseneres Bild der Vorgänge ergeben, die im Rahmen der Kaufentscheidung ablaufen. So kann die kognitive Dissonanztheorie dazu beitragen, die den affektiven Bewertungen zugrun­de­liegenden kognitiven Vorgänge zu verdeutlichen und damit ein wenig Licht in die „black box“ der Risiko­theorie zu bringen. Zum anderen gibt es eine Reihe von interessanten Parallelen zu anderen theore­tischen Ansätzen, die in dieser Arbeit behandelt werden. So kommen die Theorien des Such- und Ent­deckungsverhaltens nicht ohne Rückgriff auf die Konsistenztheorien aus und auch bei dem Abwechslungsmotiv wird eine Verbindung zu dem Konsistenzmotiv vermutet.

Die Grundhypothese der Konsistenztheorien besteht darin, daß komplexe kognitive Strukturen ei­ne Tendenz zur Konsistenz haben und daß der Mensch kognitive Inkonsistenzen zu vermeiden sucht. Diese Hypothese ist abgeleitet aus dem Prinzip der Homöostase, das besagt, daß Organis­men, deren che­misch-physikalisches Gleichgewicht gestört ist, danach streben, dieses Gleichge­wicht wiederherzu­stellen, und dessen Übertragung auf die kognitiven Struktu­ren der Menschen.[3]

Aus der großen Zahl der existierenden Konsistenztheorien, haben vor allem die folgenden drei größere Beachtung gefunden:

Das Konzept der Balance und der Neigung zur Symmetrie (Heider, Newcomb)[4]

Das Gesetz der Kongruität (Osgood und Tannenbaum)[5]

Die Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger)[6]

Die breiteste Anwendung hat bisher die Dissonanztheorie von Festinger gefunden.[7] Aus diesem Grunde und aufgrund ihrer großen Allgemeingültigkeit – sie unterstellt das Streben nach Überein­stimmung für jegliche Art von Wissenselementen – wollen wir uns im weiteren auf diese Theorie beschränken. Eine ausführliche Untersuchung aller drei Ansätze würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.


[1] Anmerkung des Autors: vgl.: Bauer, R. A., (1967)

[2] Kroeber-Riel, W., (1992), S. 414

[3] vgl.: Schönbach, P., (1966), S. 256ff

[4] vgl.: Heider, F., (1946) und Newcomb, T. M., (1953)

[5] vgl.: Osgood, C. E.; Tannenbaum, P. H., (1955)

[6] vgl.: Festinger, L., (1957)

[7] vgl.: Nolte, H., (1976), S. 366

Grundaussagen der Dissonanztheorie von Festinger

Nach der Grundaussage der Dissonanztheorie von Festinger können zwischen zwei kognitiven Elementen, auch als Kognitionen bezeichnet, folgende drei Beziehungen bestehen:

Das eine kognitive Element impliziert nichts, was das andere betreffen könnte. Diese Bezie­hung wird als irrelevant bezeichnet.

Das eine kognitive Element impliziert das andere, sie sind also konsistent. Diese Beziehung ist konsonant.

Die beiden kognitiven Elemente lassen sich nicht miteinander vereinbaren, sie sind also inkonsistent. Diese Beziehung ist dissonant.

Die hier angedeuteten Beziehungen zwischen den Elementen sind nicht im formal-logischen Sinne, sondern eher im psycho-logischen Sinne zu verstehen. Es kommt darauf an, wie das Individuum die Beziehung zwischen den beiden Kognitionen wahrnimmt, nicht wie sie in Realiter sind.

Im Mittelpunkt der Theorie von Festinger steht die Dissonanz. Das Individuum ist nach dieser Theorie bestrebt, jegliche Art von Dissonanz abzubauen. Festinger stellt das Bedürfnis nach Dissonanzreduktion auf die gleiche Stufe wie die physischen Bedürfnisse. Diese These scheint gewagt, soll für diese Arbeit aber aus Vereinfachungsgründen beibehalten werden.

Festingers Dissonanztheorie und ihre Implikationen auf das Kaufverhalten werden hier nicht umfassend dargestellt, da dies nicht im Mittelpunkt des Interesses dieser Arbeit steht und außerdem den Rahmen sprengen würde. Der interessierte Leser sei auf Nolte verwiesen.[1] Statt dessen soll ein Sonderfall der Dissonanztheorie herausgegriffen werden. Dieser Sonderfall der Dissonanz hat, wie noch gezeigt wird, die gleiche Ausgangssituation und das gleiche Ergebnis wie das wahrge­nommene Risiko. Dieser Sonderfall ist die antizipierte Nachkauf­dissonanz.


[1] vgl.: Nolte, H., (1976), S. 365ff

Antizipierte Nachkaufdissonanz als Entscheidungsfaktor

Ein klassischer Fall von Dissonanz ist die Nachkaufdissonanz. Durch die Entscheidung für eine Alterna­tive entscheidet sich der Konsument gegen alle anderen Alternativen. Jede Alternative hat positiv bewer­tete und negativ bewertete Eigenschaften. Der Konsument entscheidet sich gegen die positiven und negativen Eigenschaften der abgelehnten Alternativen und für die positiven und negativen Eigenschaften der ausgewählten Alternative. Die auftretende Dissonanz ist nun umso höher, je negativer die ausgewählte Alternative empfunden wird und je positiver die abgelehnten Alternativen empfunden werden. Ob diese Dissonanz­empfindung zu Redukti­onsmaßnahmen führt, ist davon abhängig, wie das Verhältnis zwischen den konsonanten und den dissonanten Kognitionen ist.

Nach Meinung einiger Autoren kann die Nachkaufdissonanz schon vor der Handlung ent­scheidungs­relevant werden, wenn sie antizipiert wird. Festinger deutet diese Möglichkeit schon an.[1] Entsprechend kann die Antizipation von Nachkauf­dissonanz Dissonanz erzeugen und damit auch Dissonanzreduktions­maß­nahmen provozieren. Der Unterschied zwischen den Dis­sonanzen aufgrund von Antizipationen und aufgrund von Nachkauf­dissonanz ist der, daß die Folgen im letzteren Fall schon feststehen, während sie im ersten Fall nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintreten. Nolte will diese Art von kognitiven Dissonanzen nicht als solche gelten lassen und verweist diesen Komplex zum Thema Risiko.[2] Eine Reihe von anderen Autoren schließen sich jedoch der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht an.[3] Wiswede sagt zum Beispiel: „Wir halten also fest, daß Konsumenten vor und bei der Objektwahl bereits danach trachten, Dissonanzen zu vermeiden, indem sie Objekte wählen, von denen sie erwarten, daß geringe oder keine Dissonanz auftritt.“[4]

Wie oben angedeutet, ist für die Dissonanz nicht die formale Logik entscheidend, sondern die Psycholo­gik. Die Stärke der Dissonanz einer Kognition ist also eine nur subjektiven Bewer­tungsmaßstäben unterworfene Größe. Warum sollte dann aber nicht die subjektiv wahrgenom­mene Wahrscheinlichkeit, mit der eine dissonante Konsequenz eintritt, ein weiterer Maßstab für die Höhe der Dissonanz sein?

Auch in diesem Spezialfall der Dissonanz müssen die gleichen Bedingungen gelten wie für andere Fälle der Dissonanz:

Der Konsument muß sich darüber im klaren sein, daß er nach der Entscheidung an die gewählte Alternative gebunden ist.

Die durch die Entscheidung entstehenden Konsequenzen müssen eine Bedeutung für den Konsumen­ten haben.

Die abzulehnenden Alternativen müssen in mindestens einem Punkt besser sein, als die auszuwäh­lende Alternative.

die Festlegung auf die auszuwählende Alternative muß freiwillig erfolgen

Entsprechend können auch die üblichen Dissonanzreduktionsmethoden eingesetzt werden, um zu vermei­den, daß es überhaupt erst zur antizipierten Dissonanz kommt.[5] Marken­treue könnte ei­ne der Mög­lichkeiten sein, Dissonanz zu reduzieren, weil dadurch die dissonante Si­tuation, eine falsche Marke auszuwählen, umgangen wird.


[1] vgl.: Festinger, L., (1957), S. 41

[2] vgl.: Nolte, H., (1976), S. 381

[3] vgl.: Braden, M.; Walster, E., (1964) und Wiswede, G., (1973)

[4] Wiswede, G., (1973), S. 108

[5] vgl. Festinger, L., (1957)

Zusammenhang zwischen Dissonanzreduktion und Markentreue

Eine Basisannahme der Dissonanztheorie besagt, daß die Dissonanz­reduktions­be­mühungen um­so größer ausfallen, je stärker die perzipierte Dissonanz ist.

Über die bisher konsumierte Marke liegen bei der anstehenden Kaufentscheidung die meisten Informatio­nen vor. Die möglichen Dissonanzen der anstehenden Kaufentscheidung können aufgrund der Erfahrun­gen in bezug auf diese Marke besser als bei noch nicht benutzten Marken eingeschätzt werden. Wenn die Erfahrungen mit der Marke bisher positiv waren, dann ist die Markentreue ein Mittel, die Dissonanz aus den antizipierten Folgen der Kaufentschei­dung gering zu halten. Demgegenüber liegen über die Disso­nanzen, die mit den alternativen Marken verbun­den sind, nur Vermutungen vor. Prinzipiell sind alle Risiken möglich. Wenn die bisherigen Erfahrungen mit der aktuellen Marke eher negativ waren, kann es sein, daß eine neue Marke ausprobiert wird, weil die Dissonanz aufgrund der antizipierten Nachkaufdis­sonanz da­durch geringer ist als beim Kauf der schon bekannten Marke, bei der negative Konsequenzen sehr wahrscheinlich sind.

Aus der oben genannten Basisannahme kann abgeleitet werden, daß die Markentreue umso wahrscheinli­cher ist, je größer die empfundene antizipierte Dissonanz für den Kauf der anderen Marken und je geringer sie bei der aktuellen Marke ist.

Ein weiterer Faktor, der für diese Untersuchung nur am Rande relevant ist, der aber auch die Markentreue aufgrund von Dissonanz verstärkt, ist folgender: Es konnte gezeigt werden, daß der Wiederkauf an sich eine Möglichkeit der Dissonanz­reduktion ist. Durch die Wiederholung der Entscheidung versucht der Ent­scheidungsträger sich und der sozialen Umwelt zu beweisen, daß er richtig gehandelt hat.[1] Dieser Punkt wird bei der Darlegung des Risikos, in die Katego­rie soziales oder psychologisches Risiko der Kaufent­scheidung zu subsummieren sein.

Es konnte empirisch gezeigt werden, daß eine positive Korrelation zwischen der Stärke der empfundenen Dissonanz nach dem Kauf der Marke und der Wiederkaufwahrscheinlichkeit besteht.[2] Es ist allerdings zu beachten, daß diese Aussage nur für einen bestimmten Bereich der Dissonanz gilt. Wenn die Dissonanz zu groß wird, setzen gegenläufige Prozesse ein.

Dieser Zusammenhang ist wie folgt zu erklären. Je höher die kognitive Dissonanz nach der Kaufentscheidung ist, desto intensiver sind die daraufhin eingeleiteten Dissonanzreduktions­bemühungen. Eine Möglichkeit der Dissonanzre­duktion ist ei­ne kognitiv begründete Steigerung der Attraktivität der ausgewählten Alternative. Grund­sätzlich wird die Steigerung der Attraktivität deshalb um so größer sein, je größer die kognitive Dissonanz zu Beginn war. Diese Aussage widerspricht dem gesunden Menschenverstand, ergibt sich jedoch aus der stringenten Anwendung der Theorie von Festin­ger.[3] In der Realität wird es vermutlich so sein, daß bis zu einem gewissen Grad eine Steige­rung der Attraktivität stattfindet. Wenn die Dissonanz zu groß wird, müssen entweder andere Dissonanzreduktionsmethoden angewendet werden oder es findet eine Abwendung vom Stimulus statt.


[1] vgl.:Brehm, J. W.; Cohen, A. R., (1965)

[2] vgl.: Mittelstaedt, R. A., (1969)

[3] vgl.: Nolte, H., (1976), S. 365 ff