Weder das Risikopotential noch das Abwechslungspotential sind im Zeitablauf konstante Größen. Wie die Entwicklung von statten geht und wie die Verarbeitung der damit verbundenen Informationen erfolgt, soll kurz dargelegt werden.
Risikopotential und Erfahrung
Es gibt drei mögliche Bereiche, aus denen sich das Risikopotential ableiten läßt:
die Marke entspricht nicht den durchschnittlichen marktüblichen Qualitätsansprüchen und erfüllt deshalb nicht die Zielvorstellungen
die Marke erfüllt nicht die funktionellen Zielvorstellungen des Konsumenten, weil dieser sich nicht genau über seine Zielvorstellungen im klaren ist
die Qualität der Marke schwankt im Zeitablauf.
Wenn eine Marke zum ersten Mal gekauft wird, beinhaltet sie ein entsprechendes Risikopotential. Das bedeutet, daß die erste Kaufentscheidung mit einem großen Risikopotential verbunden ist. Sehr schnell, das heißt, entweder nach kurzem Gebrauch oder nach wenigen Käufen, wird der Konsument merken, ob die Marke in der Lage ist, die marktüblichen funktionellen Erwartungen zu erfüllen. Nach und nach wird der Konsument auch merken, ob die Marke die Bedürfnisse, die nach seiner Meinung eigentlich durch diese Produktkategorie abgedeckt werden sollten, auch wirklich befriedigt. Damit fällt auch dieses Risikopotential weg. Zurück bleibt die Ungewißheit über Qualitätsschwankungen.
Der im Rahmen der Risikoabschätzung ablaufende Informationsverarbeitungsprozeß dürfte zu komplex sein, um ihn mit Hilfe eines behavioristischen Ansatzes, also mit einfachen Reiz-Reaktionsmustern, zu interpretieren, da die Risikoempfindung meist auf einem umfangreichen Abwägungsprozeß beruht. Angemessener erscheint der kognitive Ansatz von Bruner.[1] Dieser Ansatz geht davon aus, daß alle Objekte und Ereignisse in Klassen eingeteilt werden. So würde die gekaufte Marke entsprechend des wahrgenommenen Risikos in eine bestimmte Risiko-Klasse eingeteilt. Wenn zusätzliche Erfahrungen durch Konsumtion gemacht werden, kann diese Kategorisierung noch geändert oder modifiziert werden. Nach und nach verfestigt sich die Einordnung in eine bestimmte Kategorie immer weiter.
Dieser Ansatz ist kompatibel zu den Annahmen, die zuvor über die Entwicklung des Risikopotentials im Zeitablauf gemacht wurden. So fällt die Ausschaltung des zuerst genannten Risikobereichs wohl noch in den Bereich des „cue search“ und damit einer „initial categorizing“. Wenn sich dann herausstellt, daß auch der zweite Risikobereich für die Marke nicht relevant ist, wird dadurch der von Bruner geforderte „confirmation check“ unterstützt und der Erwerb der Marke weiter als relativ risikolos eingestuft. In dem danach folgenden Stadium der „confirmation completion“ wird das endgültige Risikopotential der Marke durch eine Einordnung in eine bestimmte Klasse festgelegt. Da in diesem Stadium eine selektive oder überhaupt keine Informationsaufnahme mehr stattfindet, wird das Risikopotential aufgrund von Qualitätsschwankungen wohl gegen einen bestimmten Wert tendieren, der von der Häufigkeit von Qualitätsfehlern abhängig ist und sich nur sehr langsam ändert.
Die Kategorisierung wird also entweder im Rahmen einer „primitiven Kategorisierung“[2] ablaufen, wenn die ersten Erfahrungen mit der Marke die Risiken bestätigt oder aber entsprechend des oben dargestellten Ablaufs, wenn das Risiko nach und nach abgebaut wird. Im ersten Fall wird die Marke mit einem großen Risikopotential kategorisiert, im zweiten Fall wird die Marke nach einem aufwendigeren Kategorisierungsprozeß mit einem niedrigen Risikopotential eingestuft. Die Dauer des Kategorisierungsprozesses ist von der Komplexität des Produktes abhängig, da davon wiederum abhängig ist, wie schnell beurteilt werden kann, ob weitere Risiken bestehen oder nicht. Grundsätzlich kann man sagen, daß die Höhe des wahrgenommen Risikopotentials von der Erfahrung mit der Marke abhängig ist. Da die Häufigkeit des Wiederkaufs, das heißt die Erfahrung, von der Höhe der aversiven Reize, die mit der Marke verbunden sind, abhängig ist, wird mit großer Erfahrung tendenziell ein niedrigeres Risikopotential einhergehen.
Abwechslungspotential und Gewöhnung
Das Abwechslungspotential setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen (Neuigkeitsaspekte, Ungewöhnlichkeit, Abwechslung usw). Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, daß der Mensch das Bedürfnis nach neuen und ungewöhnlichen Eindrücken hat. (siehe Kapitel 2.6.1.) Die Befriedigung dieses Bedürfnisses wird als positiv empfunden. Je neuer und ungewöhnlicher ein Reiz ist, desto angenehmer wird er tendenziell empfunden. Durch die analytische Trennung zwischen Risiko- und Abwechslungseigenschaften fallen erwartete Gefahren, die mit großer Neuartigkeit verbunden sein können, nicht in den Bereich des Abwechslungspotentials, sondern in den Bereich des Risikopotentials. Sicher gibt es eine Grenze, ab der eine weitere Steigerung der Ungewöhnlichkeit nicht angenehmer empfunden wird, dieser Fall soll jedoch außer Betracht bleiben. Kroeber-Riel geht davon aus, daß in der Konsumentenforschung der Scheitelpunkt, ab dem die Neuartigkeit als unangenehm empfunden wird, normalerweise nicht erreicht wird.[3]
Wenn eine Marke zum ersten Male gekauft wird, sind die wahrgenommene Neuartigkeit, die Ungewöhnlichkeit, die Komplexität etc. und damit ihre Verstärkereigenschaften am größten. Im Laufe des Konsums oder mehrerer Wiederkäufe steigt die Erfahrung, die der Konsument mit der Marke macht und führt zu einer Gewöhnung an die Eigenschaften der Marke. Der Konsument lernt, welche Eigenschaften die Marke hat. Damit nimmt die wahrgenommene Neuartigkeit, Ungewöhnlichkeit und Komplexität tendenziell ab. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß das Abwechslungspotential und damit die daraus abgeleiteten Verstärkereigenschaften der Marke abnehmen.
Auch bei der Erklärung der Entwicklung des Abwechslungspotentials kann die Theorie von Bruner hilfreich sein. Man kann nicht davon ausgehen, daß das Abwechslungspotential selbst das Objekt eines Kategorisierungsprozesses im Sinne von Brunner ist, da die Kategorisierung die Neuartigkeit zunichte machen würde. Vielmehr wird das Gefühl, inwieweit die Marke noch nicht kategorisiert ist, das Maß für das Abwechslungspotential sein. Je weiter die Kategorisierung fortgeschritten ist, desto geringer wird das Abwechslungspotential sein.
[1] vgl.: Bruner, J. S., (1966)
[2] vgl.: Dieterich, M., (1986), S. 65
[3] vgl.: Kroeber-Riel, W., (1992), S. 77