Risiko-Reduktions-Strategien

Strategien allgemein

Aus den beiden Komponenten des Risikos lassen sich logisch drei Problemlösungs­strategien ableiten:

Reduzierung der negativen Konsequenzen unter Konstanthaltung der aktuellen Unsicherheit

Reduzierung der Unsicherheit unter Konstanthaltung der negativen Konsequenzen

Reduzierung sowohl der Unsicherheit, als auch der negativen Konsequenzen.

Bei der Diskussion um Risikoreduktionsmethoden wie auch bei der Markentreue, steht immer die Unsi­cherheitsreduktion im Vordergrund. Wenig Interesse hat bisher – im Zusammen­hang mit der Risikore­duktion – die Komponente Wichtigkeit oder Konsequenzen gefunden. Dies ist verwun­derlich, da es sich erstens um ein Zwei-Komponentenmodell handelt und zweitens die Wichtig­keit eine bedeutende Rolle im Rahmen der dissonanztheoretischen Modelle spielt.

Mögliche Maßnahmen im Rahmen der ersten Strategie sind zum Beispiel: Reduktion des An­spruchsni­veaus, Ausschaltung möglicher negativer Folgen und Reduzierung der zum Erwerb der Marke einzuset­zenden Mittel. Wenn es um den Erwerb von kurzlebigen Konsumgütern des täglichen Bedarfs geht, die im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung stehen sollen, sind diese Maßnahmen jedoch meist nicht realisierbar oder nicht sinnvoll.

Aus diesem Grund sind in der Realität wesentlich öfters Strategien zu beobachten, die darauf abzielen, die Unsicherheit zu reduzieren. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, daß zur Unsicherheitsreduktion immer die Mittel eingesetzt werden, die mit dem geringsten Aufwand verbunden sind (siehe Kapitel 2.6.2.). Den geringsten Aufwand verursacht im Regelfall die Aktivierung von Gedächt­nisinhalten, das heißt in diesem Fall Lernerfahrungen. Für diese Aussage sprechen auch die Ergebnisse von Roselius.[1] Er nennt 11 verschiedene Möglichkeiten der Risikoredukti­on und stellt eine Reihenfolge auf. Er stellt fest, daß die Markentreue – unabhängig von der Art des Risikos – bei weitem am häufigsten genannt wurde. Kritisiert wird seine Studie von Der­baix[2], weil Roselius den Befragten in den Frage­bögen zwar die spezifische Situation schilderte, sich aber nicht auf einzelne Produkte bezog. Damit hatten die Befragten nur zu entscheiden, welche Risikoreduktionsmethoden sie im allgemeinen als sinnvoll ansahen. Es ist damit zu rechnen, daß es erhebliche Verhaltensunter­schiede zwischen verschiedenen Produktkategorien gibt. Allerdings konnte Roselius in seiner Studie feststellen, daß die Art der gewählten Risikore­duktionsstrategie von der Art der zu erwartenden Konsequenzen abhängt. „…buyers prefer some relievers to others depending upon the kind of loss involved,…“[3]. Markentreue steht grundsätzlich an erster Stelle. Derbaix machte bei seiner Studie diesen Fehler nicht und kam trotzdem zu dem Ergebnis, daß Marken­treue die wichtigste Risikore­duktionsmethode ist. Schon Bauer[4] nannte Markentreue als wichtige Risiko­reduktions­methode und auch Cunningham[5] beobachtete die Bedeutung der Markentreue in diesem Zusammenhang. Es ist allerdings zu beachten, daß es sich sowohl bei Cunningham, als auch bei Roselius lediglich um Befra­gungen handelt. Es wurde kein Verhalten beobachtet, sondern lediglich Einstellungen erfragt. Die Validi­tät dieser Untersuchung läßt sich zum Beispiel an folgender Tatsache festmachen. So lag die Strate­gie, hohe Preise mit hoher Qualität gleichzusetzen bei Roselius durchgängig auf dem letzten oder vorletz­ten Platz.[6] Zwar gilt diese Einstellung in der Bevölkerung als verpönt, trotzdem ist sie bei vielen Pro­duktkategorien häufig zu beobachten. Trotz dieser Widersprüche kann nicht geleugnet werden, daß Mar­kentreue eine wichtige Bedeutung bei der Reduktion des Risikos hat. Um die Bedeu­tung der Marke im Rahmen der Informationsverarbeitung nachzuwei­sen, unter­suchte Jacoby[7] die Verwendung von Produktattributen im Rahmen der Entschei­dungsfindung. Er wies nach, daß Markennamen als „information chunks“ dienen, und als solche bei weitem am häufigsten von allen Attributen der Marke als Grundlage der Auswahlentschei­dung in An­spruch genommen werden. Wenn der Markenname Grundlage der Entscheidung ist, entspricht dies markentreuem Verhalten.

Wenn im Gedächtnis keine Informationen über bekannte Alternativen zur Verfügung stehen, müssen diese durch zusätzliche kognitive Anstrengungen beschafft werden. Das bedeutet, daß In­formationen über die zur Auswahl stehenden Alternativen beschafft und verarbeitet werden müssen. Wenn auch auf diesem Wege keine befriedigende Reduktion der Unsicherheit zu errei­chen ist, müssen weitere Anstrengungen unternommen werden, um den Bereich der Untersu­chung weiter auszudehnen und Informationen aus dem Umfeld mit in die Überlegungen einzu­beziehen. Dadurch entsteht ein noch höherer Aufwand. Durch diese Darstellung wird deutlich, daß das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis der Risikoreduktion immer schlechter wird. Dieses Mißverhältnis wird dadurch abgeschwächt, daß die Ziele der Informations­verarbeitung erweitert werden. Wenn dem Ziel der Risiko­reduktion das Ziel nach zusätzlicher Erregung durch neue und ungewöhnliche Informa­tionen hinzugefügt wird, kann sich das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis wieder verbessern. Trotzdem wird es auch dann im Laufe der Informati­onsverar­beitung wieder schlechter. Das immer schlechter erscheinende Verhältnis zwischen Aufwand und Ergeb­nis wird durch drei Variablen determiniert:

durch zunehmenden Zeitaufwand

durch zunehmenden Energieaufwand und

durch abnehmende Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Informationsverarbeitung

…die mit jeder zusätzlich zu verarbeitenden „Einheit“ an Information verbunden sind.[8]

Erst wenn die eben dargestellten Strategien nicht zum Erfolg führen, wird die Strategie der Reduktion der Konsequenzen eingesetzt.

Wenn weder der eine noch der andere Weg noch eine Kombination beider zu einem befriedi­genden Ergebnis führen, kann dies zu ernsthaften mentalen Problemen führen. Reaktionen auf solche Situationen sind zum Beispiel: Verweigerung, Unterdrückung, Isolation, Sublimation etc.[9] Bauer berichtet, daß Autokäufer am Ende ihrer Entscheidungsphase in einen Panikzu­stand verfallen, aus dem sie dann durch den Kauf möglichst kurzfristig entfliehen wollen.[10] Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß der Käufer aufgrund der Komplexität des Produktes nur unzureichend in der Lage ist, die Unsicherheit zu reduzieren. Gleichzeitig kommt dieser Ent­scheidung wegen der finanziellen Belastung durch den Kauf ein besonderes Gewicht zu, das kaum zu reduzieren ist. Solche Verhaltensweisen werden uns im weiteren nicht interes­sieren. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht die Situation, in der Markenerfahrung zur Verfü­gung steht und auch benutzt wird. Außerdem stehen im Mittelpunkt der Betrachtung Verbrauchs- und nicht Gebrauchsgüter. Es bleibt weiteren Forschungsvorhaben vorbehalten, zu prüfen, ob die gefun­denen Ergebnisse auch auf Gebrauchsgüter übertragen werden können. Sheth und Venkate­san[11] stellten dazu fest, daß mit zunehmender Wiederkaufsrate die Neigung zur Informationssu­che abnimmt, während gleichzeitig die Tendenz zur Markentreue zunimmt.

Strategien im Zeitablauf

Die einzelnen Strategien können prinzipiell immer wieder angewandt werden. Im Speziellen bei der Markentreue kann die wiederholte Anwendung dieser Strategie zu einer Veränderung der Entscheidungs­grundlage, also der gespeicherten Informationen, führen. Eine Veränderung der Entscheidungsgrundlage führt wiederum dazu, daß sich die Wahrschein­lichkeit der Anwen­dung der Strategie verändert.

Wenn einmal bestimmte Gedächtnisinhalte über eine Marke vorliegen, die dann immer wieder zu mar­kentreuem Verhalten führen, hat dies Auswirkungen auf das mit dieser Marke verbun­de­ne Risiko. Wenn eine Marke über einen längeren Zeitraum verwendet wird, sind sowohl die mit ihr verbundene Unsicher­heit, als auch die Konsequenzen einem bestimmten Wandel unter­worfen. Dieser Wandel ist auf die mit der Marke gemachten Erfahrungen und die daraus resultierende Gewöhnung zurückzuführen. Erfahrungen bedeuten nichts anderes als die Verän­derung von Gedächt­nisinhalten in bezug auf die Qualitätsverteilung.

Wenn der Konsument zum ersten Mal eine Marke kauft, steht er der gesamten Qualitäts­verteilung der spezifischen Produktkategorie gegenüber. Selbstver­ständlich ist diese Verteilung abhängig von der subjektiven Wahrnehmung. Die erste Entscheidung wird aufgrund von naiven Regeln oder Heuristiken geschehen, sofern nicht in anderen Produkt­kategorien gelernte Zusam­menhänge im Zuge einer Genera­lisierung auf diese Produkt­kategorie übertragen werden können. Das ist der Zustand, den Bettman[12] „inherent risk“, also das der Produktkategorie innewohnende Risiko nennt. Diesem ist der Konsument ausge­setzt, bevor er sich mit der Produktkategorie ausein­andergesetzt hat. Die Höhe dieses Risikos ergibt sich nach Bettman daraus, inwieweit der Konsument davon ausgeht, daß er eine angemessene Auswahl­regel findet, um das beste Produkt zu ermitteln. Das beste Produkt ist dasjenige, das die Zielvorstel­lungen am besten erfüllt. Darüber hinaus ist die Größe des „inherent risk“ davon abhängig, wie wichtig es für den Konsumenten ist, eine zufriedenstellende Auswahl zu treffen, also davon, wo seine Risikotoleranzschwelle liegt.

Wenn die gekaufte Marke konsumiert wurde, kann der Konsument damit beginnen, diese inner­halb der Qualitätsverteilung einzuordnen. Damit wird die Unsicherheit bezüglich dieser Marke reduziert. Parallel zu dieser Einstufung in bezug auf die Qualitätsverteilung kann er das Maß der drohenden Konsequenzen abschätzen. Diese Einordnung kann sich bei komplexen Produk­ten unter Umständen über mehrere Ver­wendungen erstrecken. Wenn er sich ein Bild über die Quali­tät der Marke gemacht hat, bedeutet dies, daß er die funktionelle Leistungsfähigkeit und damit die Wahrscheinlichkeit, daß Zielvorstellungen nicht erfüllt werden, einschätzen kann. Damit hat er dann aber auch eine klare Vorstellung über die Kon­se­quenzen, die durch die Verwendung der Marke drohen. Dieser Zustand ist sicher der Idealzustand und wird selten erreicht werden.

Ein Restrisiko bleibt auf jeden Fall weiterhin bestehen. Der Konsument weiß nicht, inwieweit die Marke Qualitätsschwankungen unterliegt. Dieser Unsicherheitsfaktor kann durch Informa­tionsverarbei­tung kaum ausgeschaltet werden, sondern nur durch langzeitige Lerner­fahrungen.

Den Zustand, nachdem sich der Konsument angemessen über die Produktkategorie und die spezielle Marke in­formiert hat, nennt Bettman[13] „handled risk“. Das „handled risk“ ist tendenziell umso größer, je größer das „inherent risk“ war und umso kleiner, je mehr Informa­tion aufgenom­men wurde, je nützlicher diese Information empfunden wurde und je mehr man diesen Informatio­nen vertraut. Das „handled risk“ sinkt also mit der durch­schnitt­lichen Ver­trautheit mit den Marken und der Produktkategorie.

Wie lange es dauert, bis die Unsicherheit abgebaut ist, das heißt, bis die Qualitätsverteilung durch Informationsaufnahme bekannt ist, hängt von der Komplexität des Produktes und den Ge­brauchsge­wohnheiten des Konsumenten ab. Außerdem kann beobachtet werden, daß der Abbau des wahrgenom­menen Risikos von der Kauffrequenz des Produktes abhängig ist. Cox und Rich stellten fest, daß Produkte mit einer geringen Kauffrequenz eher mit einem größeren wahrge­nommenen Risiko verbunden sind als solche mit einer hohen Kauffrequenz.[14]

In diesem Abschnitt wurde deutlich, wie eng die Erkenntnisse von Risikotheorie und Lern­theorie miteinander verknüpft sind. (siehe Kapitel: Gewöhnung und Erfahrung – Ergebnis und Determinanten des Lernprozesses)


[1] vgl.: Roselius, T., (1971)

[2] vgl.: Derbaix, C., (1983), S. 21

[3] Roselius, T., (1971), S. 61

[4] vgl.: Bauer, R. A., (1967)

[5] vgl.: Cunningham, S. M., (1967a)

[6] vgl.: Roselius, T., (1971), S. 58

[7] vgl.: Jacoby, J.; Szybillo, G. J.; Busato-Schach, J., (1977)

[8] vgl.: Hansen, F., (1972), S. 150

[9] vgl.: Hansen, F., (1972), S. 153

[10] vgl.: Bauer, R. A., (1967), S. 24

[11] vgl.: Sheth, J. N.; Venkatesan M., (1968)

[12] vgl.: Bettman, J. R., (1973)

[13] vgl.: Bettman, J. R., (1973)

[14] vgl.: Cox, D. F.; Rich, S., (1964)

Kosten der Verarbeitung als Einflußfaktor

„Consumers are subject to limitations in processing capacity. This means that detailed and complex calculations or comparisons among alternatives may be the exeption rather than the rule. Consumers may often use simple heuristics to make comparisons. These heuristics allow adaptation to the potentially complex choices consumers must make.“[1]

Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht eine Entscheidungssituation. Eine Entscheidung setzt die Aus­wahlmög­lichkeit zwischen mehreren Alternativen voraus. Bevor eine sinnvolle Ent­scheidung zwischen diesen ge­troffen werden kann, die nicht nur vom Zufall abhängig ist, müssen Informationen über die Alternativen aufgenommen und verarbeitet werden. Selbst die Ent­scheidung zwischen zwei alternati­ven Handlungsmöglichkeiten, die sich stark unterschei­den, bei denen also die eine besonders vorteilhaft und die andere besonders unvorteilhaft erscheint, erfordert ein Minimum an Informationsverarbeitung. Je mehr Alternativen in der Entscheidungs­situation relevant sind und je ähnlicher diese bezüglich der relevanten Entschei­dungskrite­rien wahr­genommen werden, desto aufwendiger ist der Infor­mations­verarbei­tungsprozeß. Ein weiterer Faktor, der das Ausmaß der erforderlichen Informationsbe­schaf­fungs- und Informa­tionsver­arbei­tungs­maß­nahmen bedingt, ist das Maß an Sicherheit, das der Konsument im Au­genblick der Entscheidung haben möchte, um die optimale Alternative auszuwählen.[2] In der Kaufent­scheidungssituation kann der Kon­sument jederzeit die Kaufentscheidung treffen. Je nachdem wieviel Informationen er vor der Entscheidung beschafft und verarbeitet hat, ist es dann mehr oder weniger so, daß er die Entscheidung trifft, bevor alle möglichen Charakteristiken des Produktes verglichen wurden. Dadurch riskiert der Konsument, einen Fehler zu machen, indem er bezüglich be­stimmter Charakteristika des Produktes nicht die optimale Entscheidung trifft oder einen trade-off Prozeß nicht abgeschlossen hat. Der Konsument wird deshalb genauso lange die relevanten Alternativen bezüg­lich ihrer Charakteri­stika vergleichen, bis er den von ihm verlangten Sicherheitslevel erreicht hat.

Da die Informationsverarbeitungskapazität des Menschen begrenzt ist und die Auswahl­entschei­dung meist unter einem gewissen Zeitdruck getroffen werden muß, ist der Konsument darauf angewiesen, seine Informations­verarbeitungs­kapazitäten möglichst ökonomisch einzusetzen, um in der zur Verfügung stehenden Zeit den angestrebten Sicher­heitslevel zu erreichen. Je größer die Sicherheitsansprüche sind, desto größer sind die kognitiven Belastun­gen, weil in vorgegebe­ner Zeit mehr Informationen verarbeitet werden müssen. Wenn von Kosten der Verarbeitung gesprochen wird, sind damit sämtliche An­strengun­gen gemeint, die der Konsument auf sich nehmen muß, um den persönlichen Sicher­heitslevel zu errei­chen, bei dem er bereit ist eine Entscheidung zu treffen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die kogniti­ven Aktivitäten.

Hansen geht darauf ein, inwieweit der vom Konsumenten angestrebte Sicherheitslevel tatsäch­lich erreicht oder statt dessen eine Zwischenlösung angestrebt wird:

„If for a moment the attention is fixed on a problem, wether a solution will be found depends on the tolerable level of conflict. If this level is high, the choice process may terminate with a ‚commitment‘ to a solution that still is quite conflicting and does not resolve the complex co­gnitive structure by which the problem is represented. In such a case elements of the problem can be neglected and a semi-solution can be established, but the conflict is likely to be re­aroused. If, however, the tolerable amount of conflict is low, a considerable higher degree of consistency is required before a solution is deemed acceptable, which increases the likelyhood that the problem really is solved.“[3]

Dieses Zitat wirft eine weitere Frage auf: Verändert sich die Motivation, eine befriedigende Entscheidung zu treffen und damit die Motivation zur Informationsverarbeitung im Laufe des Informationsverarbei­tungsprozesses, also mit abnehmendem Konflikt?

Die Entscheidungssituation stellt den Konsumenten vor ein Informations­verarbeitungs­problem. Es gibt bestimmte Ziele, die durch die Entscheidung erreicht werden sollen und es existiert ein bestimmtes Maß an Unsicherheit, ob einzelne Produkte diese Ziele erfüllen. Gleichzeitig steht der Konsument unter Zeit­druck. Er wird Schritte einleiten, um die Unsicher­heit zu reduzieren und in der vorgegebenen Zeit zu einer Entscheidung zu gelangen. Es gibt verschiedene Meinungen dazu, wie sich das Bedürfnis nach Information auf dem Weg bis zum angestrebten Sicherheitslevel entwickelt. Es geht also um folgende Frage: Verändert sich das Bedürfnis nach Information vom Beginn des Entscheidungs­prozesses bis hin zu dem Punkt, wo der Sicherheitslevel erreicht wird? Das Bedürfnis nach Information sollte logischerweise genauso stark sein wie das Bedürfnis, den Sicher­heitslevel zu erreichen, da es sich hieraus ableitet. Das Bedürfnis, diesen Sicherheitslevel zu erreichen, ist nichts anderes als das Konsi­stenzmotiv oder das Motiv nach Risikoreduktion, da es sich bei der Situation um eine inkonsi­stente oder eine Risikosituation handelt. Eine ungewisse Situation ist in­konsistent, weil die An­forderungen an eine zufrieden­stellende Entscheidung nicht mit der empfun­denen Ent­scheidungs­situation übereinstimmen. Der akzeptierte Unsicherheit­slevel ist nichts anderes als das gerade noch akzeptierte Maß an Inkonsistenz oder der Risikotoleranzlevel, wobei bei den letzten beiden die Bedeutung der Situation noch eine Rolle spielt. Eine größere Unsicherheit wird als inkonsistent empfunden, weil sie nicht mit den Sicher­heitsansprüchen übereinstimmt. Verstärkt wird das Konsistenzmo­tiv durch Informationen, die den inkonsistenten Zustand in ei­nen konsistenten überführen. Durch Informationsaufnahme steigt die Vertrautheit mit der Situation oder dem Produkt und damit wird die Inkonsistenz der Situation abgebaut.

Howard fordert in seiner Theorie des Kaufentscheidungsverhaltens, die auf den Zusammen­hang zwi­schen Produktvertrautheit und quantitativer Informations­beschaffung eingeht, daß der Informationsbedarf mit zunehmender Vertrautheit mit dem Produkt und dem Markt ab­nimmt.[4] Das bedeutet im Rückschluß, daß mit abnehmender Inkonsistenz, also je näher der angestrebte Sicherheitslevel rückt, die Neigung diese Inkonsistenz abzubauen, abnimmt.

Bettman und Park fordern dagegen einen Verlauf, der einer umgekehrten U-Kurve entspricht. Sie kommen zu der Überzeugung, daß Konsumenten mit mittlerer Produkt­vertrautheit informations­verarbeitungswil­liger sind, während wenig und sehr vertraute Konsumenten dazu neigen, Beurtei­lungsaufgaben zu verein­fachen. Sie verlassen sich auf solche Merkmale, die als „chunks“ be­zeichnet wurden.[5]

Insgesamt herrscht in der Literatur Uneinigkeit darüber, ob eine große Vertrautheit zu einem gesteigerten oder zu einem reduzierten Informationsbedarf führt und ob mittelmäßig vertraute Personen, wie Bettman und Park dies fordern, eher in der Lage sind, Informationen zu verarbei­ten, als die beiden anderen Gruppen.

Bettman[6] stellt fest, daß die Wahrscheinlichkeit einer intensiven kognitiven Beschäftigung mit den Alternativen von zwei Faktoren abhängig ist, nämlich von der Motivation, dies zu tun und von der Fähig­keit, sich mit diesen Daten auseinandersetzen zu können. Er konnte in seiner Studie feststellen, daß die Wahrscheinlichkeit, sich intensiv mit den Alternativen auseinanderzu­setzen, bei einem mittleren Maß an Erfahrung mit der Marke am größten ist. Bei geringerer oder größe­rer Erfahrung ist diese Bereitschaft, also mehr kognitive Energie zu investieren, geringer. Im ersten Moment erscheint dieses Ergebnis den Erkenntnissen der Theorien des Such- und Ent­deckungsverhaltens zu widersprechen. Diese fordern, daß vor allem im unteren und im oberen Bereich der Vertrautheit das SEV zu beobachten ist. Trotzdem sind die Ergebnisse kompatibel. Bei zu geringer Gewöhnung äußert sich das SEV durch Markentreue und der Beschäftigung mit der Marke an sich. Der kognitive Aufwand ist entsprechend gering. Bei zu großer Gewöhnung setzt auch SEV ein. Dies äußert sich im Fall der Theorien des SEVs im Zusammenhang mit der Kaufentscheidung zum Beispiel durch Markenwechsel. Für Bettman ist der Punkt der großen Erfah­rung mit der Marke jedoch nicht dort, wo schon eine Sättigung eingesetzt hat. Das heißt, andere Marken werden noch nicht in Erwägung gezogen. Demnach betrachtet Bettman bei seiner Untersuchung nur den Bereich bis zum optimalen Punkt der Theorien des SEV. Der Punkt, den Bettman den Punkt mit großer Erfahrung nennt, liegt ungefähr im optimalen Aktivierungslevel, in dem aufgrund der Zufriedenheit die kognitive Aktivität gering ist.

Des weiteren ist die quantitative Nutzung von Informationen abhängig von der Anzahl der verfügbaren Merkmale. Mit steigender Anzahl verfügbarer Merkmale nimmt die Anzahl genutz­ter Informationen zwar zu, gemessen an der insgesamt zur Verfügung stehenden Informations­menge jedoch ab.[7]

Wie schon angedeutet wurde, ist reine Informationsverarbeitung nicht die einzige Möglich­keit, die Unsicherheit zu reduzieren. Es gibt andere Strategien, die ebenfalls in der Lage sind dies zu erreichen und zwar mit geringeren Verarbeitungskosten. Shugan führt drei Mög­lichkeiten an: „The cost of thinking can be reduced by (1) memory, (2) summary statistics, and (3) pro­babilistic sampling.“[8] Der erste Punkt macht sich im Rahmen des Kaufentscheidungsprozes­ses zum Beipiel durch Markentreue bemerkbar. Auch die Ent­scheidung für die Markentreue muß, wie schon ausgeführt, nicht zwangsläufig ohne jegliche Informationsverarbeitung abzulau­fen. Bettman[9] stellt insgesamt zehn verschiedene Auswahlheuristiken zusammen (z.B.: konjunktive, disjunktive, lexikografische usw.). Eine der dargestellten Heuristiken ist die „affekt referral“-Heuristik. „In affect referral, a consumer does not examine attributes or beliefs about alternatives, but simply elicits from memory a previously formed overall evaluation for each alternative. Thus the evaluation process is wholistic.“[10] Bei dieser Auswahlheuristik werden nicht einzelne Attribute des Produktes, sondern die mit der Alternative verbun­denen Affekte miteinander verglichen. Das Auswahlkriterium ist der Maximie­rungsgrundsatz, das heißt, die Alternative, die mit dem angenehmsten Affekt verbunden ist, wird ausgewählt. Dies scheint die angemessene Auswahlheuristik zu sein, um den Entscheidungspro­zeß bei Markentreue zu betrachten. Dieser Auswahlprozeß ist in der Lage, sehr komplexe Auswahlentscheidungen auf ein Minimum an kognitiver Anstrengung zu reduzieren. Der zweite Punkt von Shugan kann als die Hinzuziehung von Urtei­len, die auf den durchschnittlichen Urteilen einer breiten Mehrheit beruhen, interpretiert werden. Ein gutes Beispiel ist die Entschei­dungs­unterstützung durch die Zeitschrift „test“, die bei ihren Urteilen allgemein anerkannte Wertmaßstäbe zugrunde legt. Wenn die dritte Option angewendet wird, bedeutet dies, daß nur eine begrenzte Anzahl von Attributen der Marken verglichen werden. Dabei wird mit großer Wahrschein­lichkeit davon ausgegangen, daß sich von der Ausprägung dieser Attribute auf die gesamte Eignung der Marke schließen läßt.

Zu jedem Zeitpunkt, des Produktauswahlprozesses, existieren zwei Hand­lungsalternativen. Die erste Alternative besteht in der Auswahl des aktuell am attraktivsten erscheinenden Produktes. Die zweite Alternative besteht darin, weitere Überlegungen und Informationsbeschaffung zu betreiben. Wenn man in einem Koordinatensystem die Zeit auf der Abszisse und den wahrgenommenen Konflikt auf der Ordinate darstellt, bildet die erste Hand­lungsalternative eine fallende Kurve und die zweite Handlungsalternative eine steigende Kurve. Je nachdem, wie in der Entscheidungssituation das ursprüngliche Risikopotential war und wie hoch der Risikotoleranzlevel liegt, sind verschiedene Situationen vorstellbar (siehe Abb. 4). Wenn in Situation 1 davon ausgegangen wird, daß der Risikotoleranzlevel 1 gilt, dann kann bezogen auf Entscheidungssituation C die Entscheidung ohne jedes weitere SEV getroffen werden. Wenn in der gleichen Entscheidungs­situation allerdings Risiko­toleranz­level 2 gilt, dann muß in gewissem Maße SEV durchge­führt werden, bis das wahrgenommene Risiko gleich dem Risikotoleranzlevel ist (Situation 2). In der Ent­scheidungs­situation A wird zwar nach langer Zeit auch irgendwann der Risikotoleranzlevel erreicht, vorher ist jedoch der wahr­genommene Konflikt durch zusätzliches SEV so groß, daß dieser sogar den Konflikt durch das noch bestehende Risiko bei einer unmittelbaren Entscheidung übertrifft (Situation 3). Wenn der Konflikt aufgrund des wahrgenommenen Risikos gleich dem Konflikt aufgrund zusätzlichen SEV ist, dann wird die Entscheidung getroffen.[11]

Abb. 4 (Entscheidungsprozeß)
Abb. 4 (Entscheidungsprozeß)

Die Menge der notwendigen kognitiven Energie für die Informationsverarbeitung ist von dem wahrge­nommenen Risiko und der aufgrund dessen ausgewählten Auswahlheuristik[12] abhängig. „Consumer spend different amounts of energy on various choices, and these differences must be explained in terms of varying amounts of motivation at the time of the choice.“[13] Hansen schlägt vor, daß ein U-förmiger Zusammenhang zwischen dem Konflikt und der Komplexität des Auswahlprozesses besteht. Die geringste Komplexität liegt dann vor, wenn der Punkt des tolerierbaren Konfliktes erreicht ist. Mehr oder weniger Konflikt erfordern kom­plexere Auswahlprozesse, entweder auf der Suche nach Stimulation oder beim Problemlösen. Aller­dings steigt die Komplexität der Problemlösungsprozesse nicht monoton an. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß Vermeidungsverhalten auftritt und das Komplexitäts­niveau spontan reduziert wird, wenn der wahrgenommene Konflikt ein bestimmtes Niveau übersteigt.[14]


[1] Bettmann, J.R., (1979), S. 176

[2] vgl.: Shugan, S. M., (1980), S. 101

[3] Hansen, F., (1972), S. 154

[4] vgl.: Howard, J.A., (1977)

[5] vgl.: Bleiker, U., (1983), S. 192f

[6] vgl.: Bettman, J. R.; Park, C. W., (1980), S. 244

[7] vgl.: Bleiker, U., (1983), S. 133ff

[8] Shugan, S. M., (1980), S. 109

[9] vgl.: Bettmann, J.R., (1979)

[10] Bettmann, J.R., (1979), S. 179

[11] vgl.: Hansen, F., (1972), S. 155 ff

[12] vgl.: Hansen, F., (1972), S. 158

[13] Hansen, F., (1972), S. 65

[14] vgl.: Hansen, F., (1972), S. 160