Verstärkung durch Motivbefriedigung

Wie laufen die Lernprozesse, die zu markentreuem Verhalten führen, ab?

Im Zentrum des Interesses steht das operante Konditionieren[1], das nach Dieterich für die Erklärung des Konsumentenverhaltens angemessen ist.[2] Das bedeutet, ein zufälliger Marken­kauf, also der Operant, wird verstärkt oder auch nicht und dadurch steigt oder sinkt die Häufig­keit, mit der er gezeigt wird.[3] Die Verstärkung kommt durch die Befriedigung einer Zielvor­stel­lung oder eines Bedürfnisses zustande. Die Größe der Verstärkung ist abhängig von dem Maß der Erfüllung der Zielvorstellungen oder des Bedürfnis­ses.

Bevor die Verstärkereigenschaften der Marke behandelt werden können, muß geklärt werden, wie es zu dieser Verstärkung kommt. Dazu ist es angebracht, zwischen primären und sekundä­ren Verstärkern zu unterscheiden. Im weiteren wird davon ausgegangen, daß sowohl die Re­duktion des Risikos, als auch die Aufnahme neuer ungewöhnlicher Reize primäre Verstärker sind. Gemäß der Ansicht von Hull[4] wird damit ausgedrückt, daß diese beiden Reize biologi­sche Triebe reduzieren. Die Marke befrie­digt durch ihre Eigenschaften also das Motiv nach Risikoreduktion oder das Motiv nach Abwechslung und hat dadurch Verstärkereigenschaf­ten.

Weitgehend Einigkeit herrscht darüber, daß es einen biologisch verankerten Antrieb zur Risiko­re­duktion gibt. Dieser kann aus dem Konsistenz-Motiv abgeleitet werden, indem die Risiko­empfin­dung als inkon­sistentes Reizmuster nach Beseitigung strebt. Nicht so eindeutig ist die Lage bei dem Trieb nach Ab­wechslung. Zwar konnte Berlyne[5] in Experimenten nachweisen, daß auch die Befriedigung von Neugier und der Informationswert eines Reizes primäre Verstär­kereigenschaf­ten haben, auf der anderen Seite wird die Existenz eines solchen Triebes immer wieder bestritten.

Damit die Erwartungen und die Erfahrungen sowohl bezüglich des Risikopotentials als auch bezüglich des Abwechslungspotentials bewertet werden können, muß auf jeden Fall ein Maß­stab feststehen, was positiv, neutral und was negativ zu bewerten ist. Die entsprechenden Maßstäbe leiten sich aus individuellen Bedürfnissen und Toleranzschwellen ab. Eines soll schon vorwegge­nommen werden. Diese Maßstäbe sind in Grenzen genetisch vorgegeben, werden jedoch nicht unabhängig von den Befriedigungsmöglich­keiten gebildet, sondern passen sich in einem genetisch vorgegebenen Rahmen im Zuge eines Lernprozesses, den wahrgenommenen Befriedigungs­möglich­keiten an.

Beide Antriebe und die entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse werden in späteren Kapiteln noch ausführlich behandelt. (siehe besonders Kapitel: Kontroverse Standpunkte in bezug auf das Abwechslungsmotiv) An dieser Stelle wird nur festgehalten, daß diese beiden Motive vermutlich einen Einfluß auf die Markenkaufentscheidung haben und im weiteren im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Auf die Verstärkung durch die Erfüllung der Zielvorstel­lun­gen wird in dieser Arbeit, wie schon erwähnt, nicht eingegangen, da es sich hier um extrin­sische Motivationen und die dement­sprechenden funktionellen Eigenschaften der Marke handelt. Wenn im weiteren dennoch hin und wieder von den Zielvorstellungen gesprochen wird, dann wird damit das Versagen der Marke in diesen Bereichen und damit das Risiko ange­sprochen. Nur soviel dazu: Die funktionellen Eigenschaften können sowohl primäre als auch se­kundäre Verstärker sein, je nachdem, welche Motive sie befriedigen, z. B. Hunger, Durst, Bedürfnis nach einer angenehmen Umgebung, Bedürfnis nach Prestige usw.


[1] vgl.: Skinner, B. F., (1938)

[2] vgl.: Dieterich, M., (1986), S. 55

[3] vgl.: Herkner, W., (1993), S. 23

[4] vgl.: Hull, C. L., (1943)

[5] vgl.: Berlyne, D. E., (1960)

Gewöhnung und Erfahrung – Ergebnis und Determinanten des Lernprozesses

Weder das Risikopotential noch das Abwechslungspotential sind im Zeitablauf konstante Größen. Wie die Entwicklung von statten geht und wie die Verarbeitung der damit verbundenen Informa­tionen erfolgt, soll kurz dargelegt werden.

Risikopotential und Erfahrung

Es gibt drei mögliche Bereiche, aus denen sich das Risikopotential ableiten läßt:

die Marke entspricht nicht den durchschnittlichen marktüblichen Qualitätsan­sprüchen und er­füllt deshalb nicht die Zielvorstellungen

die Marke erfüllt nicht die funktionellen Zielvorstellungen des Konsumenten, weil dieser sich nicht genau über seine Zielvorstellungen im klaren ist

die Qualität der Marke schwankt im Zeitablauf.

Wenn eine Marke zum ersten Mal gekauft wird, beinhaltet sie ein entsprechendes Risikopoten­tial. Das bedeu­tet, daß die erste Kaufentscheidung mit einem großen Risikopotential verbunden ist. Sehr schnell, das heißt, entweder nach kurzem Gebrauch oder nach wenigen Käufen, wird der Konsument merken, ob die Marke in der Lage ist, die marktüblichen funktionellen Erwar­tungen zu erfüllen. Nach und nach wird der Konsument auch mer­ken, ob die Marke die Bedürfnisse, die nach seiner Meinung eigentlich durch diese Produktkategorie abgedeckt werden sollten, auch wirklich befriedigt. Damit fällt auch dieses Risikopotential weg. Zurück bleibt die Ungewißheit über Qualitäts­schwankungen.

Der im Rahmen der Risikoabschätzung ablaufende Informationsverarbeitung­sprozeß dürfte zu komplex sein, um ihn mit Hilfe eines behavioristischen Ansatzes, also mit einfachen Reiz-Reaktionsmustern, zu interpretieren, da die Risiko­empfin­dung meist auf einem umfangreichen Abwägungsprozeß beruht. Angemessener erscheint der kognitive Ansatz von Bruner.[1] Dieser Ansatz geht davon aus, daß alle Objekte und Ereignisse in Klassen eingeteilt werden. So würde die gekaufte Marke entsprechend des wahrgenommenen Risikos in eine bestimmte Risiko-Klasse eingeteilt. Wenn zusätzliche Erfahrungen durch Konsumtion gemacht werden, kann diese Kate­gorisierung noch geändert oder modifiziert werden. Nach und nach verfestigt sich die Einordnung in eine bestimmte Kategorie immer weiter.

Dieser Ansatz ist kompatibel zu den Annahmen, die zuvor über die Entwicklung des Risikopo­tentials im Zeitablauf gemacht wurden. So fällt die Ausschaltung des zuerst genannten Risiko­be­reichs wohl noch in den Bereich des „cue search“ und damit einer „initial categorizing“. Wenn sich dann herausstellt, daß auch der zweite Risikobereich für die Marke nicht relevant ist, wird dadurch der von Bruner geforderte „confirmation check“ unterstützt und der Erwerb der Marke weiter als relativ risikolos eingestuft. In dem danach folgenden Stadium der „confirmation completion“ wird das endgültige Risikopotential der Marke durch eine Einord­nung in eine bestimmte Klasse festgelegt. Da in diesem Stadium eine selektive oder überhaupt keine Informa­tionsaufnahme mehr stattfindet, wird das Risikopotential aufgrund von Qualitäts­schwankungen wohl gegen einen bestimmten Wert tendieren, der von der Häufigkeit von Qualitätsfehlern abhängig ist und sich nur sehr langsam ändert.

Die Kate­gorisierung wird also entweder im Rahmen einer „primitiven Kategorisierung“[2] ablaufen, wenn die ersten Erfahrungen mit der Marke die Risiken bestätigt oder aber entspre­chend des oben darge­stellten Ablaufs, wenn das Risiko nach und nach abgebaut wird. Im ersten Fall wird die Marke mit einem großen Risikopotential kategori­siert, im zweiten Fall wird die Marke nach einem aufwendigeren Kategorisierungsprozeß mit einem niedrigen Risikopo­tential eingestuft. Die Dauer des Kategorisierungsprozesses ist von der Komplexität des Produktes abhängig, da davon wiederum abhängig ist, wie schnell beurteilt werden kann, ob weitere Risiken bestehen oder nicht. Grundsätzlich kann man sagen, daß die Höhe des wahrge­nommen Risikopo­tentials von der Erfahrung mit der Marke abhängig ist. Da die Häufigkeit des Wiederkaufs, das heißt die Erfahrung, von der Höhe der aversiven Reize, die mit der Marke verbunden sind, abhängig ist, wird mit großer Erfahrung tendenziell ein niedrigeres Risikopo­tential einhergehen.

Abwechslungspotential und Gewöhnung

Das Abwechslungspotential setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen (Neuig­keits­aspekte, Ungewöhnlichkeit, Abwechslung usw). Grundsätzlich kann davon ausge­gangen werden, daß der Mensch das Bedürfnis nach neuen und ungewöhnlichen Eindrücken hat. (siehe Kapitel 2.6.1.) Die Befriedigung dieses Bedürfnisses wird als positiv empfunden. Je neuer und ungewöhnlicher ein Reiz ist, desto angenehmer wird er tendenziell empfunden. Durch die analytische Trennung zwischen Risiko- und Abwechslungs­eigenschaf­ten fallen erwartete Gefahren, die mit großer Neuartigkeit verbunden sein können, nicht in den Bereich des Ab­wechslungs­potentials, sondern in den Bereich des Risikopotentials. Sicher gibt es eine Grenze, ab der eine weitere Steigerung der Ungewöhn­lichkeit nicht angenehmer empfunden wird, dieser Fall soll jedoch außer Betracht bleiben. Kroeber-Riel geht davon aus, daß in der Konsu­mentenforschung der Scheitel­punkt, ab dem die Neuartigkeit als unangenehm empfunden wird, normalerweise nicht erreicht wird.[3]

Wenn eine Marke zum ersten Male gekauft wird, sind die wahrgenommene Neuartigkeit, die Ungewöhn­lichkeit, die Komplexität etc. und damit ihre Verstärkereigenschaften am größten. Im Laufe des Konsums oder mehrerer Wiederkäufe steigt die Erfahrung, die der Konsu­ment mit der Marke macht und führt zu einer Gewöhnung an die Eigenschaften der Marke. Der Konsument lernt, welche Eigenschaften die Marke hat. Damit nimmt die wahrgenommene Neuartigkeit, Ungewöhnlichkeit und Komplexität tendenziell ab. Dies bedeutet jedoch nichts anderes, als daß das Abwechslungspotential und damit die daraus abgeleiteten Verstärkereigen­schaften der Marke abnehmen.

Auch bei der Erklärung der Entwicklung des Abwechslungspotentials kann die Theorie von Bruner hilf­reich sein. Man kann nicht davon ausgehen, daß das Abwechslungs­potential selbst das Objekt eines Kategorisie­rungsprozesses im Sinne von Brunner ist, da die Kategorisie­rung die Neuartig­keit zunichte machen würde. Vielmehr wird das Gefühl, inwieweit die Marke noch nicht katego­risiert ist, das Maß für das Abwechslungspotential sein. Je weiter die Kategorisierung fortge­schritten ist, desto geringer wird das Abwechslungspotential sein.


[1] vgl.: Bruner, J. S., (1966)

[2] vgl.: Dieterich, M., (1986), S. 65

[3] vgl.: Kroeber-Riel, W., (1992), S. 77