Abgrenzung von Habitualisierung und Markentreue

Im Rahmen der Behandlung der Lerntheorie wird ein Nachtrag zur Definition des Begriffes Markentreue erforderlich. Oft werden die Begriffe Markentreue und Habitualisierung gleichge­setzt oder Marken­treue als eine Form der Habitualisierung betrachtet.

Wie sich aus Jacobys Definition von Markentreue[1] ableiten läßt, fallen unter diesen Begriff nicht solche Entscheidungen, die zwar zum Wiederkauf der gleichen Marke führen, die jedoch aufgrund eines extensiven Entscheidungsprozesses und nicht aufgrund einer Vorein­genom­menheit getroffen werden. Das heißt, markentreue Entscheidungen sind nur solche, bei denen der Entscheidungs­prozeß durch die Ein­bringung von Lernerfahrungen verkürzt ist. Auch bei Hab­itualisierung findet eine Verkürzung statt. Bei habitualisierten Kaufent­scheidungen kann man je­doch sagen, daß der Entscheidungsprozeß gar nicht mehr existiert, sondern von Lerner­fahrungen ersetzt wird. Katona sagt zu habituellem Verhalten: „Hier gibt es daher kein Überle­gen und kein Wählen. Reize rufen Reaktionen in fest begründeten Bahnen hervor, unbeeinflußt von wechseln­den Motiven und Einstellungen. Diese Art des Verhaltens … dient … Konflik­ten zu entgehen.“[2]

Markentreues und habitualisiertes Entscheiden unterscheiden sich durch das Maß, in dem kognitive Prozesse in die Ent­scheidungsfindung eingreifen. Wäh­rend bei habituellem Verhal­ten die kognitive Beteiligung grundsätzlich nicht stattfindet – oder wie Tost­mann[3] es ausdrückt „nicht vorhandene Bewußtseinsprägnanz“ – ist Markentreue durch ein Mindestmaß an kogniti­ver Beteiligung gekennzeichnet. Jeuland[4] unterscheidet die Begriffe durch das Maß an Involve­ment. Zwar ist bei Markentreue die extensive Kaufentscheidung ausge­schlossen, dies schließt jedoch nicht aus, daß trotzdem umfangreiche kognitive Prozesse zur Entschei­dungsfindung notwendig sind. Das Maß der kognitiven Beteiligung kann stark variieren.

Zwei extreme Ausprägungen der Markentreue in bezug auf die kognitive Beteiligung sind denkbar:

Wenn eine Kaufent­scheidungssituation mit einem kognitiv gesteuerten Vergleichsprozeß beginnt, der wegen der begrenzten Informationsverarbeitungskapazität dann irgendwann abgebrochen wird, so steht zu diesem Zeitpunkt meist keine rational begründete Entscheidung fest. Es kann sein, daß alle Marken zu diesem Zeitpunkt in etwa gleich zu bewerten sind und dann die affektiv begründete Entscheidung zugunsten der bewährten Marke ausfällt. Dies ist ei­ne markentreue Entscheidung mit einer relativ großen kognitiven Beanspru­chung. Auf der anderen Seite ist es möglich, daß zwar die Alternativen wahrgenommen werden, nachdem dies geschehen ist, die Entschei­dung jedoch zugunsten der bewährten Marke fällt. Hier ist die kognitive Beteiligung sehr gering, die eingebrachten Lernerfahrungen aber sehr umfang­reich.

Das Kriterium, das im zweiten Fall habituelles Verhalten noch von markentreuem Verhalten unterscheidet, ist die bewußte Wahrnehmung der Alternativen. Laut der Definition von Marken­treue ist das Vorhandensein von Alternati­ven notwendig. Demgegenüber sprechen wir von habituellem Verhalten dann, wenn die Alternativen gar nicht mehr wahrgenommen werden sondern ein Reiz-Reaktions-Mechanismus abläuft. Der Übergang von Markentreue zu habituel­lem Verhalten ist bezüglich dieses Kriteriums fließend.

In der Literatur wird häufig die Meinung vertreten, daß starke Markentreue mit habituel­lem Verhalten gleichzusetzen sei, während schwache Markentreue zwar eine vereinfachte Verhal­tensweise, jedoch keine habituelle Verhaltensweise ist.[5] Diese Meinung ist insoweit richtig, als die Markentreue sich unendlich nahe an habitualisiertes Verhalten angleichen kann, jedoch immer die kognitive Beteiligung und Wahrnehmung der Alternativen beinhaltet.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß vor allem zwei Faktoren bei der Entscheidung ausschlagge­bend sind, ob es sich um habituelles Verhalten oder Markentreue handelt nämlich kognitive Beteiligung und Wahrnehmungsanstrengung. Markentreue ist dabei auf einem Konti­nuum zu suchen, an dessen Extrem­punkten die extensive Kaufentscheidung und die habituali­sierte Kauf­entscheidung zu finden sind.

Noch nicht eingegangen wurde auf die Frage, wie es zu habitualisiertem Verhalten kommt. Es ist sowohl vorstellbar, daß eine Habitualisierung schon nach der ersten Kaufent­scheidung stattge­funden hat, als auch daß dieser Prozeß mehrere Kaufakte benötigt.[6]

Wie die Entstehung von Markentreue erfordert auch die Habitualisierung einer Verhaltensweise Lernpro­zesse. Ein Verhalten wird meist dann wiederholt gezeigt, wenn es verstärkt wird. Ein Verstärker, der nicht den Wiederkauf an sich, sondern den Habitualisierungsprozeß fördert, ist die Vereinfachung des Kaufprozesses. Dabei wird von einem Antrieb des Menschen ausgegan­gen, jede Entscheidung mit einem Mini­mum an kognitivem Aufwand zu treffen, (siehe Kapitel 2.6.2.). Darüber hinaus wirken auch die Erfüllung von Zielvorstellungen und die Befriedigung der Be­dürfnisse nach Abwechslung und nach Risikore­dukti­on als Verstärker. Diese zielen jedoch nur begrenzt auf die Habitualisierung, sondern schwerpunktmäßig auf den Wiederkauf an sich ab, da nicht die Verstärkung für eine besonders ökonomische, sondern für eine unter dem Gesichtspunkt der Aktivierung optimalen Entschei­dung erfolgt. Man kann also vermuten, daß Markentreue ein Schritt zum Endzustand Habituali­sierung sein kann. Sicher gibt es viele Faktoren, die auf diesen Prozeß Einfluß nehmen, wie z.B. die finanzielle Bedeutung der Ent­scheidung. „…mit zunehmender Bedeutung des Konsumguts – und mithin auch mit steigender finanzieller Belastung – wird die Habitualisierungstendenz abnehmen, einfach deshalb, weil kognitive Anstrengungen lohnender werden.“[7]


[1] vgl.:Jacoby, J.; Kyner, D.B., (1973), S. 2

[2] Katona, G., (1972), S. 63

[3] Tostmann, T., (1978), S. 360

[4] vgl.: Jeuland, A. P., (1979)

[5] vgl.: Dieterich, M., (1986), S. 107

[6] vgl.: Dieterich, M., (1986), S. 25

[7] Wiswede, G., (1991), S. 321

Gesetz des relativen Effekts

Wie bei der Abgrenzung von der Habitualisierung dargestellt, werden bei markentreuem Ver­hal­ten auch die Alternativen bewußt wahrgenommen, die wiederum auch bestimmte Verstärke­reigen­schaften haben.

Das Gesetz des relativen Effekts sagt aus, daß das Verhältnis der Häufigkeiten bestimmter Verhaltenswei­sen von dem Verhältnis der Verstärker, die das Individuum für diese Verhaltens­weisen erhält, entspricht. Das Gesetz des relativen Effekts bezieht sich nur auf den stationären Teil der Lernkurve. Es gilt also nicht während des Abschnitts, in dem eine Verhaltensänderung stattfindet, sondern erst, wenn eine relativ konstante Verhaltens­häufigkeit erreicht wurde.[1] Da in dieser Arbeit, wie im letzten Abschnitt verdeutlicht wurde, von sich dauernd verändernden Verstärker­eigen­schaften der aktuellen Marke ausgegangen wird, ist diese Bedingung eigent­lich nicht erfüllt. Trotzdem kann das Gesetz interessante Erklärungen liefern.

Aus dem Effektgesetz wurde die Hypothese abgeleitet, daß die relative Häufigkeit einer Verhal­tensweise nicht nur von deren Konsequenzen abhängt, sondern auch von den Konsequenzen gleichzeitig verfügba­rer Alternativen. Die rein behavioristische Sichtweise impliziert, daß die Wiederkaufwahrschein­lichkeit für eine Marke so lange konstant bleibt, so lange die Verstär­kung durch dieselbe gleich ist. Das Gesetz des relativen Effekts sagt demgegenüber, daß sich die Wiederkaufwahrscheinlichkeit einer Marke auch dadurch ändern kann, daß die potentielle Verstärkung durch andere verfügbare Alternativen verän­dert wird. Das bedeutet, daß zum Beispiel durch massiven Einsatz von Werbemitteln für eine andere Marke unter Umständen die Wiederkauf­wahrschein­lichkeit der aktuellen Marke vermindert werden kann. Wenn daher eine Wiederkaufwahrscheinlichkeit aus der isolierten Betrachtung einer einzelnen Marke abgeleitet wird, so ist diese mit Vorsicht zu interpretieren. Da jedoch meist keine klaren Vorstellun­gen über die Verstärker­eigenschaften aller alternativen Marken gebildet werden, genügt die Erfas­sung der Un­sicher­heit, ob die eigene Marke wirklich die beste von allen ist. Erst wenn diese Unsicherheit ein bestimmtes Maß überschritten hat, wenn also die Wahrscheinlichkeit, daß es eine Marke mit einem höheren Verstärkerwert gibt, höher ist, werden die anderen Marken zu wirklichen Alterna­tiven. An dieser Stelle wird wieder die Verwandtschaft von Habitualisierung und Markentreue deutlich.

Die Entscheidung für eine Marke ist eindeutig, denn entweder wird das Produkt gekauft oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit für diese Entscheidung, bevor dieselbe getroffen wurde, ist aller­dings normalerweise nicht gleich 100 %. Nach dem Gesetz des relativen Effekts verteilt sich die Wahrscheinlichkeit über die verschiedenen Alternativen je nach ihren Verstärkereigenschaften. Je größer die Verstärker­eigenschaften einer Marke sind, desto größer ist die Wahrscheinlich­keit, daß die Entscheidung zu deren Gunsten aus­fällt.

Jede Marke, die nicht konsumiert wird und über die der Konsument derzeit keine zusätzlichen In­forma­tionen sammelt, hat einen gleichbleibenden Verstärkerwert und entsprechend des Gesetzes des relativen Effekts eine entsprechende Kaufwahrschein­lichkeit, die nur von den Veränderungen der Verstärker­eigen­schaften der anderen Marken abhängig ist. Wenn davon ausgegangen wird, daß das Abwechslungspoten­tial und das Risikopotential die Verstärkerei­gen­schaften der Marke sind, sind die Verstärkereigen­schaften der aktuell benutzten Marke ei­ner stetigen Veränderung unterworfen. Wenn dadurch die Wiederkaufwahrscheinlichkeit der aktuellen Marke abnimmt, muß die Kauf­wahr­scheinlichkeit einer anderen Marke zunehmen. Dabei wird davon ausgegangen, daß die gesamten Verstärkereigenschaften der aktuellen Marke auf jeden Fall nach einiger Zeit stetig abnehmen. Die Begründung dieser Forderung erfolgt im Rah­men der Darstellung des Konzeptes und läßt sich auch aus der Studie von Bawa[2] ableiten. Wenn dies so ist, dann wird in der Phase abnehmender Verstärkung irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Unsicherheit, daß es auf dem Markt bessere Produkte geben könnte, sehr groß wird. Außerdem wird die Verstärkereigenschaft der aktuellen Marke irgendwann das konstante Niveau einer anderen verfügbaren Marke unterschritten haben. Damit ist nach dem Gesetz des relativen Effekts die Wiederkaufwahr­scheinlichkeit für die aktuelle Marke dann ge­ringer als die Kaufwahr­schein­lichkeit dieser Alternative. Wenn der Konsument nun zu dieser neuen Marke wechselt, wird nach einiger Zeit auch deren Verstärkerwert sinken. Auf der anderen Seite gibt es Untersu­chungen, die belegen, daß der Verstärkerwert der nun nicht mehr gekauften Marke dann, wenn sie nicht mehr gekauft wird, wieder ansteigt.[3] Dies ist vermutlich so, weil das Abwechslungspotential bei Nicht-Konsumtion größer wird. Es kann passieren, daß irgendwann wieder ein Wechsel zurück zu dieser Marke erfolgt. Dieses Konzept kann auch mit mehr als zwei Marken sinnvoll konstruiert werden. Wierenga[4] stellte in einer lang angelegten Studie fest, daß Zeiten der Markentreue immer wieder von Abschnitten, die von Markenwech­sel geprägt sind, unterbrochen werden, die vermutlich durch das Gesetz des relativen Effekts zu erklären sind.


[1] vgl.: Herkner, W., (1993), S. 30

[2] vgl.: Bawa, K., (1990)

[3] z. B.: Kuehn, A. A., (1962)

[4] vgl.: Wierenga, B., (1974), S. 156ff