Kritische Anmerkungen zum Konzept des optimalen Erregungsniveaus und dessen Anwendbarkeit und Erklärungsgehalt für die Markentreue

Aufgrund einer Reihe von Untersuchungen behauptet Kroeber-Riel, daß die Aktivierung im Bereich der Konsumen­ten­forschung meist im Bereich der normalen Aktivierung liegen und den optimalen Level wohl nie überschreiten wird.[1] Das würde bedeuten, daß im weiteren der abfallende Teil der ∩-Kurve außer Betracht bleiben könnte.

Auf der anderen Seite ist die Untersuchung von Bawa[2] nicht von der Hand zu weisen, in der er einen kurvilinearen Zusammenhang in Form einer ∩-Kurve im Konsumentenverhalten nachweisen konnte. Diese Differenz könnte dadurch zu erklären sein, daß die Untersuchungen, auf die sich Kroeber-Riel bei seinen Aussagen stützt, Werbe­wirkungsmessungen waren, während Bawa effektive Kaufhandlungen untersuchte. Im Rahmen der Unter­suchungen von Kroeber-Riel wurde das Maß der Aktivierung und die affektive Beurteilung dieser Aktivier­ung ermittelt. Dabei dürfte es kaum gelungen sein, in den Konsumenten ein Gefühl des Risikos aufgrund der Betrachtung der Werbeanzeigen hervor­zurufen. Vielmehr wird die Aktivierung einzig und alleine auf die Neuartigkeit und Ungewöhn­lichkeit der Werbemittel zurückzuführen gewesen sein. In bezug auf diese Art der Aktivierung ist es nachvollziehbar, daß eine Überakti­vierung durch Werbeanzeigen nur sehr schwer zu erreichen ist. So würde eine Überaktivierung nach dem Konzept von Fiske und Maddi dazu führen, daß der Betrachter sich von der Werbe­anzeige abwendet. Dies ist bei Werbeanzeigen nur in sehr extre­men Fällen zu erwarten.[3] Demgegenüber kam die Aktivierung in der Untersuchung von Bawa sowohl durch Aspekte der Neuartigkeit, als auch durch den Aspekt des Risikos zustande. Aus diesem Grund wird im weiteren davon ausgegangen, daß im Konsumbereich die gesamte ∩-Kurve relevant ist.

Der Scheitelpunkt, dem in allen Konzepten der positivste Affekt zugeordnet ist, kommt wie noch gezeigt wird, nicht alleine durch die Überaktivierung durch eine bestimmte Eigen­schaft des Stimulus zustande. Vielmehr wird sich hier die Theorie von Coombs und Avrunin[4] bewahrhei­ten. Diese gehen davon aus, daß die meisten ∩-Kurven auf zwei getrennte Faktoren zurückzufüh­ren sind. Wenn ∩-Kurven in der Sozialpsychologie auftauchen, liegt nach Coombs und Avrun­in[5] meist ein irgendwie gearteter Konflikt vor. Am einfachsten läßt sich die ∩-Kurve erklären, wenn es sich um einen Appetentz-Aversions-Konflikt handelt. Nach dem Prinzip: „Good things satiate and bad things escalate.“[6] ist es unter der Vorausset­zung, daß bestimmte Nebenbedin­gungen erfüllt sind, unausweichlich, daß sich eine ∩-Kurve ergibt. Dies bedeutet: Besitzt ein Stimulus sowohl positiv als auch negativ bewertete Eigenschaften, dann führt jede zusätzliche Einheit des Stimulus dazu, daß der Rezipient sowohl den positiven, als auch den negati­ven Eigenschaften ausgesetzt wird. Bezüglich des Stimulus stehen sich damit ein Appetenztrieb und ein Aversionstrieb gegenüber. Eine immer weiter ansteigende Menge der positiven Eigenschaften führt jedoch irgendwann zu einem Sättigungseffekt. Eine immer weiter ansteigende Menge der negativen Eigenschaften wird dagegen als zunehmend unangenehm emp­funden. Das Verhalten dem Stimulus gegenüber ergibt sich aus der Resultierenden der beiden Antriebe. Coombs und Avrunin streiten nicht die Existenz von ∩-Kurven ab, sondern behaupten nur, daß sie sich aus anderen Funktionen zusammensetzen.[7] Selbst Berlyne, der von einer ∩-Kurve ausgeht, räumt ein, daß der Gesamteffekt vermutlich durch das Zusam­menwirken zweier Faktoren zustandekommt.[8] Auch bei dem Phänomen der Markentreue lassen sich ein positiver und ein negativer Reiz ausmachen. Der positive Reiz ist die Neuartigkeit einer Marke und der negative Reiz das mit ihr verbundene Risiko. In diesem Zusammenhang wird sich auch zeigen, daß die Form der Kurve als umgedrehtes U nur ein möglicher Fall ist und daß die Resultierende der zwei Faktoren ganz unterschiedliche Formen haben kann.

Der Zusammenhang in Form eines umgedrehten Us ist in der Lage, widersprüchliche Aussagen darüber, ob Vertrautheit die Attraktivität eines Stimulus steigert oder senkt, zu erklären. Aus diesem Grund ist dieser Zusammenhang auch in der Lage, unterschiedliche empirische Ergeb­nisse über den Zusammenhang zwischen neuen oder riskanten Marken und Markentreue zu erklären. Denn es ist zu vermuten, daß je nachdem ob ein ansteigender oder ein abfallender Zusammenhang zwischen der Vertrautheit und der Markentreue gefunden wurde, der Konsument sich in einem spezifi­schen Teil der ∩-Kurve befindet. Oft ist das Ergebnis auf die Auswahl des bei der Befragung verwendeten Produktes zurückzuführen. So wird Kuehn und seiner linearen Lern­theorie vorge­worfen, daß er nur deshalb einen kontinuierlich ansteigenden Zusammenhang gefunden habe, weil sich sein Produkt zu der damaligen Zeit in der Wahr­nehmung der meisten Konsumenten in dem ansteigenden Teil der ∩-Kurve befunden habe. Er hatte die Untersuchung mit gefrorenem Orangensaft durchgeführt, der erst kurz vorher auf dem amerikanischen Markt eingeführt worden war.

Wenn eine Marke während eines längeren Zeitraums nicht gekauft wird, führt dies dazu, daß zumindest ein Teil des Erregungspotentials wieder zurückgewonnen wird und damit eine Bewegung auf der ∩-Kurve stattfindet. „… a period of non-exposure to an already familiar stimulus can cause it to regain some of the lost arousal potential.“[9] Dieser Sachverhalt ist in der Lage, ein stetiges Wechseln zwischen zwei oder mehreren ver­schiedenen Marken zu erklären. Wenn ein Konsu­ment zum Beispiel immer wieder die Marke A kauft, wird diese irgendwann langweilig, weil ihr Erregungspotential sinkt. Er könnte dann zu einer Marke B wechseln, da diese auf Grund ihrer Neuigkeit näher am optimalen Erregungspotential liegt. Nachdem dieser Wechsel stattgefunden hat, sinkt nun das Erregungspotential der Marke B und das Erregungspotential der Marke A steigt wieder. Es könnte nun passieren, daß nach einiger Zeit das Erre­gungspotential von A wieder höher ist als das von B. Diesen Gedankengang kann man auch mit mehr als zwei Marken durch­spielen und damit ein ständiges Wechseln zwischen verschiedenen Marken erklä­ren.[10] Der Leser möge sich erinnern, daß die gleichen Abhängig­keiten zuvor lerntheoretisch interpretiert wurden (siehe Kapitel: Gesetz des relativen Effekts).

Wie oben dargestellt, unterteilen Driver und Streufert den Bereich der Nicht-Überein­stimmung in vier Bereiche. Sie gehen des weiteren davon aus, daß die Bereiche, in denen die Abweichung vom GIAL nicht so groß ist, eher positive Affekte hervorrufen und die Bereiche, in denen die Abweichung größer ist, eher negative Affekte provozieren. Raju und Venkatesan interpretieren dieses Konzept im Zusammenhang mit dem Wiederkauf einer Marke wie folgt:[11] Wenn eine Marke zu neuartig oder zu abweichend von den bestehen­den Vorstellungen ist, ist sie mit negativen Affekten gekoppelt. Die Abweichung vom optimalen Niveau ist hier so groß, daß das Individuum davon ausgeht, daß das optimale Niveau nicht innerhalb einer angemessenen Frist erreicht werden kann. In dieser Situation ist es wahrscheinlicher, daß sich das Individuum von dem derzeitigen Stimulus, sprich der neuen Marke abwendet und einen angemesseneren Stimu­lus, das heißt eine nicht ganz so neuartige Marke, sucht. Wenn diese Abweichung dagegen nicht ganz so groß ist, entsteht eine klassische Dissonanzsituation. Der Konsument kauft die Marke und muß dann später feststellen, daß sie nicht seinen Vorstellungen entspricht oder ihm zu neuartig ist. Trotz dieser Enttäuschung ist die dadurch entstehende Erregung mit positivem Affekt verbunden. Durch SEV versucht der Konsument die mit der aktuellen Marke verbun­dene Erre­gung zu reduzieren. Dies kann zum Beispiel durch Markentreue und eine intensive Beschäftigung mit der Marke geschehen. In einer solchen Situation ist der Konsument emp­fänglich für Informa­tionen über andere Marken, die näher an seinem optimalen Erregungsni­veau liegen. Er wird allerdings nicht aktiv nach einer neuen Marke, also einem neuen Stimulus suchen, da die aktuelle Marke ja immer noch mit einem positiven Affekt gekoppelt ist. Ähnlich verhält es sich, wenn der Konsument die Marke schon einige Male gekauft hat und diese anfängt ihn zu langweilen. Die Marke ist dann immer noch mit einem positiven Affekt gekop­pelt, erreicht jedoch nicht das optimale Erregungsniveau. Der Konsument fängt nun an, die Erregung durch diese Marke zu erhöhen, indem er vorher nicht beachtete Dimensionen unter­sucht oder bewußter negative Konkurrenzinformatio­nen zu seiner bewährten Marke aufnimmt. Er sucht nicht aktiv eine Alternative zu seiner aktuellen Marke. Wenn durch permanente Dar­bietung die Erregung durch den Stimulus weiter abnimmt und einen be­stimmten Punkt unter­schreitet, kommt es zu Lange­weile. Langeweile ist mit negativen Affekten verbun­den. In dieser Situation ist die Entfernung zum optimalen Level dermaßen groß, daß das Individuum es als sinnvoller ansieht, sich vom aktuellen Stimulus abzuwenden und einen neuen Stimulus zu suchen. Einen neuen Stimulus zu suchen, ist nichts anderes, als eine neue Marke zu suchen, also Markenwechsel.

Die von Person zu Person unterschiedliche Veranlagung, die Marke zu wechseln, ist mit dem optima­len Stimulationslevel zu erklären. Mittelstaedt, Grossbart, Curtis und Devere untersuch­ten den Zusam­menhang zwischen der Höhe des optimalen Stimulationslevels und dem Entscheidungs­prozeß, neue Produkte oder Dienstleistungen auszuprobieren.[12] Sie fanden heraus, daß Perso­nen mit einem eher hohen Level schneller zu einem neuen Produkt wechseln als Personen mit einem eher niedrigen optima­len Stimulationslevel. Personen mit einem niedrigen Level sind also markentreuer. Dies bedeutet eigent­lich nichts anderes, als daß die individuellen Kurven horizontal unterschiedlich liegen können. Personen mit einem eher hohen optimalen Level werden durch eine Kurve abgebildet, die eher weiter weg vom Ursprung der Abszisse zu finden ist. Bei Perso­nen mit niedrigem optimalen Level liegt die Kurve dagegen näher am Ursprung. Keine Aussage wird darüber gemacht, wie die vertikale Lage der Kurve ist.


[1] vgl.: Kroeber-Riel, W., (1992), S. 77

[2] vgl.: Bawa, K., (1990)

[3] Bei der Kampagne von Benneton zum Beispiel, wäre es denkbar, daß sie solche Reaktionen hervorruft.

[4] vgl.: Coomb, C. H.; Avrunin, G.S., (1977)

[5] vgl.: Coomb, C. H.; Avrunin, G.S., (1977)

[6] Coomb, C. H.; Avrunin, G.S., (1977), S. 224

[7] vgl.: Coomb, C. H.; Avrunin, G.S., (1977), S. 228

[8] vgl.: Berlyne, D. E., (1970), S.284

[9] vgl.: Raju, P. S.; Venkatesan, M., (1980), S. 4

[10] vgl.: Raju, P. S., (1981), S. 238-239

[11] vgl.: Raju, P. S.; Venkatesan, M., (1980), S. 4

[12] vgl.: Mittelstaedt, R. A.; Grossbart, S. L.; Curtis, W. W.; Devere, S. P., (1976)